Christentum in Lateinamerika – eine Erfolgsgeschichte?

Von der Conquista/ Kolonialzeit bis zur Gegenwart. Welche Rolle spielt und spielte die christliche Religion in Gesellschaft und Politik Lateinamerikas seit der gewaltsamen Kolonisierung?
Veranstaltung des Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing am 13. Februar 2023 mit Prof. em. Dr. Hans Joachim König aus Ingolstadt

Fast fünfhundert Jahre lang war die christliche Kirche in Lateinamerika eng mit den Mächten der Unterdrückung und der Ausbeutung der indogenen Bevölkerung verbunden. Danach kam der Wandel. Ist das Christentum in Lateinamerika eine Erfolgsgeschichte? So lautete Fragestellung und Thema eines Vortrags des emeritierten Professors für lateinamerikanische Geschichte Hans Joachim König aus Ingolstadt. Eingeladen hatte der Freundeskreis Weiden der Evangelischen Akademie Tutzing.

Und schon nach wenigen Sätzen spürten die Zuhörer, dass der Referent mit diesem Thema nicht nur zutiefst verbunden ist, sondern es in allen Aspekten seiner Gedankenwelt selbst innerlich lebt. Die Antwort auf seine Ausgangsfrage gab König allerdings erst am Ende seines zweistündigen Vortrags und sagte „es gibt Schatten und Licht“. Ausführlich schilderte er vorher die Jahrhunderte des Schattens, als die christliche Kirche in Lateinamerika eine „hemmungslose Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung“ nicht nur geduldet habe, sondern sogar durch päpstliche Dekrete die juristische Rechtfertigung dafür gab.

Als Partner der spanischen Krone gab die Kirche der Christianisierung der indigenen Bevölkerung einen kreuzzugartigen Charakter und machte diese so zum gerechten Krieg. Religiöse Aspekte ergänzten die Machtpolitik und die ökonomische Ausbeutung. „Auch Geistliche hatten ihre Pfründe und ihre Stellung war unangefochten“ stellte der Professor fest. Mit zeitgenössischen Bildern belegte er seine Schilderungen. Zum Beispiel auch wie schmerzlich es die indigene Bevölkerung es empfunden habe, die eigenen Kultur und die eigenen Gottheiten zu verlieren. „Unsensibel hat die Kirche agiert im Bewusstsein des eigenen einzig richtigen Glaubens“ sagte König. Ein ganz allmähliches vorsichtiges Umdenken gab es erst dann, nachdem es durch Ausbeutung der Billigarbeitskraft zu einem „dramatischen Bevölkerungsrückgang um 80 bis 90 Prozent“ gekommen sei.

Doch auch nach Beendigung der Kolonialherrschaft Anfang des 19. Jahrhunderts hätten die Indigenen zwar eigene Siedlungen besessen, „aber keine Ressourcen“ stellte König fest. Und weiterhin wurde von der Kirche die soziale Ungleichheit gerechtfertigt als „gottgegebene Ordnung, in der jeder seinen festen Platz in der Gesellschaft habe“. Die hierarchisch aufgebaute Kirche passte gut in eine „quasi feudale Herrschaft der Grundbesitzer“. Und auch „getaufte Indios galten immer noch als minderwertig“. Für soziale Fragen war die Kirche nicht offen, nicht einmal nachdem in Europa Sozialenzykliken nach der Industrialisierung zu einem Umdenken geführt hatten.

Eine fundamentale Kehrtwendung trat in Lateinamerika erst Mitte des letzten Jahrhunderts mit der Entstehung der Befreiungstheologie ein. Sie galt auch als Antwort der Kirche auf die immer größer werdende Armut infolge des Wegzugs der indigenen Bevölkerung aus den ländlichen Regionen in Ballungsräume. Dort entstanden die riesigen sogenannten Favelas. Somit stellte sich die Kirche Lateinamerikas laut König der sozialen Frage und nicht mehr der „rein seelsorgerischen Arbeit“. Die Befreiungstheologie konzentriere sich deshalb nicht mehr nur auf „das bessere zukünftige Leben im Jenseits“. Vielmehr gehe es um „ die Befreiung des Menschen in seinem sozialen Kontext“. Dazu wurden Namen wie Óscar Romero, Leonardo Boff oder Hélder Câmara im Vortrag genannt. Jetzt ginge es um einen „Change Agent“, auch zur Festigung und Wahrung der Demokratie und um den Wegfall der einseitigen Bindung an die Oberschicht. Längst waren somit auch erhebliche Konflikte mit dem Vatikan verbunden, machte König deutlich.

Professor König im Februar 2023