Ein Pfarrer, der begeistert – und Klartext spricht. Rainer Maria Schießler hält zweieinhalb Stunden lang die Besucher im Kubus im Bann. Und es wird viel gelacht dabei.
Die Kartennachfrage zu der Gemeinschaftsveranstaltung von Evangelischem Bildungswerk, Katholischer Erwachsenenbildung und der Gemeinde Ursensollen war so groß, dass Bürgermeister Franz Mädler eigenhändig Stühle schleppte, damit alle Anwesenden tatsächlich einen Sitzplatz bekamen. Am Ende waren Saal und Empore mit 300 Menschen gefüllt – unter ihnen Top-Model Barbara Meier, die vom Münchner Kult-Pfarrer im Juni 2019 in Venedig getraut worden war.
„Was ich denke, was ich glaube“ war der Abend überschrieben, den EBW-Vorsitzender Siegfried Kratzer im Gespräch mit dem prominenten Gast moderierte. Rainer Maria Schießler ist katholischer Geistlicher, dessen unorthodoxe Gottesdienste regelmäßig von hunderten Gläubigen besucht werden. Neben vielen unkonventionellen Aktionen ist er auch als Bierzelt-Bedienung beim Münchner Oktoberfest bekannt geworden. Zuletzt spendete er seine Einnahmen daraus für das Syrien-Projekt seines Freundes Christian Springer. „Mit oft als provokant empfundenen Äußerungen engagiert er sich für eine lebendige und offene Kirche“, stellte Kratzer den „dialektischen Menschenfischer“ vor. Dialektisch deshalb, weil Schießler seinen bayerischen Dialekt nicht verleugnet.
Schießler ist ein Redner, dem auch Protestanten gerne zuhören. In manchem erinnert er an Martin Luther, der ebenfalls wortgewaltig, direkt und manchmal polemisch den erstarrten Glauben seiner Zeit aufmischte. So war es nur folgerichtig, dass er am Ende der Veranstaltung von Kratzer mit „Luther-Bier“ beschenkt wurde.
„Ich habe den lieben Gott in manchen Kneipen besser kennengelernt als in manchen Bibelkreisen.“ Mit Sprüchen wie diesen öffnet der bald 60-jährige Pfarrer aus München die Ohren der Zuhörer und provoziert mit vielen Gags immer wieder die Lachmuskeln. Dabei meint es Schießler durchaus ernst: Warum leeren sich die Kirchen und wenden immer mehr Menschen dem christlichen Glauben den Rücken zu? Und warum reagiert die Amtskirche darauf nicht angemessen? Dass Christen eine Kirche brauchen, steht für ihn außer Frage. „Gemeinschaft“ ist hier das Zauberwort. Oder anders: „Man kann nicht alleine feiern.“
Enthusiastisch, präsent, unterhaltsam, das Mikrofon fest in der Hand: Man spürt, da hat einer eine Sendung, da will einer seine Zuhörer mit dem Glauben unkonventionell und niederschwellig in Berührung bringen. Schießler spricht in seinem Münchnerisch über Gott und die Welt, das Leben an sich und den eigenen Lebensweg, oft erwähnt er seine Eltern, die ihm mit ganz einfachen Mitteln den Weg zum Glauben gewiesen hätten. Man müsse nicht Theologie studiert haben, um ein guter Christ zu sein.
Eines beklagt Schießler ausdrücklich, wenn er über die Amtskirche räsoniert: „Während draußen die Welt brennt, Menschen im Mittelmeer sterben und der Teufel los ist, streiten wir uns über das Zölibat.“ Nach Bemerkungen wie dieser brandet im Saal immer wieder Applaus auf. Abgesehen davon findet der zölibatär lebende Priester, „dass verheiratete Priester die Kirche bereichern würden“. Auch mit dem Reichtum seiner Kirche ist er nicht einverstanden, er behindere nämlich die nötige Reformwilligkeit. Sein Vorschlag: „Nimm der Kirche das Pulver, dann wird sie schnell zu Reformen bereit sein.“
Bei aller Kritik ist der Pfarrer, der zu den bekanntesten in Deutschland gehören dürfte, kein Kirchenfeind, im Gegenteil. Aber er steht für eine neue Kirche, die der Welt offen begegnet. Viele Probleme scheinen ihm nur künstlich: Warum sollen zum Beispiel bei Konfessions verschiedenen Ehen nicht beide zu Kommunion gehen können? „Jesus hat doch alle eingeladen!“ Berührungsängste zu Homosexuellen hat Schießler auch nicht. „In meiner Innenstadt-Gemeinde in München sind die Grünen die stärkste politische Kraft, danach kommt die Rosa Liste“, erzählte er, „und wenn zwei Homosexuelle kommen und sich segnen lassen wollen, mache ich das jederzeit“.
Schießler setzt auf die Nähe zu den Menschen, einen möglichst dogmenfreien Glauben und gelebte Ökumene. Das zeigte sich auch an dem Co-Referenten des Abends, dem evangelischen Pfarrer im Ruhestand Steffen Welz. Der lebt seit seiner Pensionierung mit seiner Gattin im Pfarrhaus von Schießler, wo sie eine produktive ökumenische Glaubens-WG bilden. Und dass er ein „Show Man“ sei kontert Schießler mit der Bemerkung: „Jesus war auch ein Show Man – oder war die Speisung der 5000 kein Event?“
Rainer Maria Schießler und der Bauernprotest Bericht ONetz vom 22.01.2020