Medizin ohne Gewissen – Der Nürnberger Ärzteprozess – Vortrag mit Ulrike Hauffe

Verbrecher im Medizinerkittel

Es übersteigt die menschliche Vorstellungskraft, wie Mediziner hunderttausende Menschen im Nationalsozialismus zu Tode gequält haben. Und kaum zu glauben, wer dafür in den Nürnberger Prozessen nicht mit dem Tode bestraft wurde, durfte nach wenigen Jahren wieder als Arzt praktizieren.

Was viele nicht wissen oder vergessen haben: Nach dem Hauptverfahren der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse gab es als erstes von zwölf Nachfolgeverfahren eine Anklage gegen 23 Personen aus der Medizin. Über das rund achtmonatige Verfahren in den Jahren 1946 und 1947 und deren Folgen referierte die Germanistin Ulrike Hauffe unter der Überschrift „Medizin ohne Gewissen – Der Nürnberger Ärzteprozess“. Eingeladen hatte der Freundeskreis Weiden der Evangelischen Akademie Tutzing gemeinsam mit dem Evangelischen Bildungswerk Oberpfalz.

Tiefstes Entsetzen löste bei den Zuhörern die detaillierte Schilderung von Gift-, Sterilisierungs-, Unterkühlungs-, Ertränkungs-, und anderen Experimenten aus. Hunderttausende Behinderte und Kranke wurden systematisch und oft qualvoll ermordet. Und alles haben Mediziner durchgeführt um eine wahnwitzige NS-Rassenideologie umzusetzen. Die Referentin berichtete über zahlreiche Einzelbeispiele einer endlos langen Liste von Verbrechen am menschlichen Körper. Todesspritzen mit Benzin, Verabreichung extrem hoher Röntgenstrahlen, künstlich ausgelöste Malaria-, Fleckfieber-, und Hepatitis-Erkrankungen gehörten ebenso dazu wie das Aufschlitzen der Waden und die anschließende Infektion der Wunden. Die Referentin berichtete auch von der gezielten Ermordung von 112 jungen jüdischen Menschen mit dem Ziel „typisch jüdische Skelette“ zu sammeln. „ Lebensunwertes Leben“ sollte im Rahmen der Euthanasie beendet werden. Es sollte auch der „Status Mensch“ aberkannt werden. Im späteren Prozess gegen die Mediziner war bei den Angeklagten weder Reue noch eine Entschuldigung zu hören. Im Gegenteil, ausnahmslos bekannten sich alle als „nicht schuldig“.

Germanistin Hauffe zeigt am Abend auch Filmausschnitte aus dem Prozess. Da gab es Rechtfertigungen etwa wie „arbeitsfähig machen“, „Tod verhindern“ oder „ich glaubte, dass es das Leiden abkürzt“. Manche wollten auch nur Befehle ausgeführt haben. Referentin Hauffe sprach von einer „unglaublichen Macht der Ärzte“ in der NS-Zeit. Sie seien in ihrer nationalsozialistischen Rolle aufgewertet worden und hätten keinerlei Rechenschaft ablegen müssen. Die gequälten Menschen wurden oft auch als „Material“ bezeichnet. Die einzige im Prozess angeklagte Ärztin namens Herta Oberheuser hätte sogar von „meinen Kaninchen“ gesprochen. Hauffe zitierte auch aus Hitlers „Mein Kampf“, wonach die Gemeinschaft und die Rasse über dem Individuum stehen würde.

Weil in der unmittelbaren Nachkriegszeit das öffentliche Interesse mehr auf die Rivalität mit dem Kommunismus gerichtet worden sei, wären die zu lebenslangen oder langjährigen Haftstrafen verurteilten Ärzten rasch freigekommen. Da sie die Approbation nicht verloren hätten, konnten viele wieder als Mediziner arbeiten. Erst in den 90-er Jahren sei im Medizinbereich das Thema Nürnberger Medizinprozess ausführlich aufgearbeitet worden. Kritisiert wurde im Vortrag auch dass es „keine Genugtuung für die Opfer gegeben hat“ und dass „manche bis heute noch kämpfen“. Positiv hervorgehoben hat Hauffe, dass als Folge des Ärzteprozesses der „Nürnberger Kodex“ entwickelt wurde, der bis heute eine wichtige Rolle in der Medizinethik spiele. Medizinische Experimente am Menschen unterliegen danach zahlreichen Regeln. Dazu gehört unter anderem die Zustimmung des Betroffenen, der auch in der Lage sein muss, sich frei zu entscheiden. Es darf auch kein Experiment geben, das den Tod zur Folge haben könnte.

Ulrike Hauffe

Text und Bild: Siegfried Bühner